Stimmen des Flusses

Am 26.12.2003 kommt es zu aussergwoehnlich starken Regenfaellen in den Bergen des Dschungels. Eine meterhohe Flutwelle jagt mit einer todbringenden Geschwindigkeit den Sungai Bahorok flussabwaerts gen Bukit Lawang, verschlingt 2/3 des Dorfes und reisst ueber 500 Menschenleben in den Tod. Was bleibt? Schutt und Truemmerhaufen. Verwaiste Seelen. Schockstarre und Verzweiflung. Fassungslosigkeit. Stille. Eine Bewohnerschaft, die innerhalb von 15 Minuten auf die Haelfte seiner Groesse geschrumpft ist.

 

„Welcome to Bukit Lawang!“ Roji geleitet mich an meinem ersten Tag zum Garden Inn. „How many brothers and sisters you have?“ Ein Bruder, eine Schwester. Selbst? “6 brothers. Before we are 8, but the oldest one gone in the flood. Now I am the oldest.” Roji verdient sich sein Geld damit, die Tubingringe durch den Dschungel den Fluss hoch zu wuchten, um anschliessend mit vergnuegten Seelen stromabwaerts zu preschen. „thats my business you know“. Der Fluss macht arm. Und der Fluss macht reich.

 

Edu und ich sitzen im Schatten (und schwitzen trotzdem) auf den Holzschaemeln von Babe, ich schnitze an meiner Blume und versuche ihr den letzten Feinschliff zu verpassen. „I WANNA LAY YOU DOWN IN A BED OF ROSES...“Bisschen Singen hat noch niemandem geschadet. Edu schlaeft in dem Holzverschlag ueber der Schnitzbude. Tagsueber schnitzt er, raucht und trinkt Kaffee. Abends spielt er mit den Schnitzerjungs Gitarre und singt sich bei romantischen Liebeshymnen die Seele aus dem Leib. Gelegentlich spielen wir Schach. Gelegentlich kraenkelt er. Dann schlaeft er auch tagsueber. Als er 9 Jahre alt ist kommt die Flut. Er ueberlebt. Als einziger aus seiner Familie. „Look!“ Edu haelt mir einen Ring mit einem rosa schimmernden Stein unter die Nase. „Look, I found the stone down in the river. When I meet the girl I love, I will give to her, la!“ Ich verspreche, ihn bei der Suche zu unterstuetzen. Das Dumme ist nur, dass das Maedel, mit dem ich ihn verkuppeln wollte, zwischenzeitlich von Nanda erobert worden ist.

Als ich nach drei Tagen Trrrecking nach Haus zurueckkehre, ist der Ring weg. „Edu! You found your love while I was away?“ „No! I threw it back into the river!“ WHY? Abe mischt sich ein. “BECAUSE he wanted to give to YOU, but YOU go AWAY without telling us!” Oh no…Der Fluss schenkt Reichtum und Hoffnung. Und verschlingt gebrochene Herzen.

 

Es giesst aus Kuebeln. Nach einem gechillten Nachmittag am Landak River hocke ich mit Tirta, seiner Tante und 31 Huehnern in einem provisorisch zusammengezimmerten Holzverschlag im Dschungel und warte seit 1,5 Stunden darauf, dass der Regen aufhoert und ich meinen Heimweg fortsetzen kann. Tirta:“ Big rain today. Look water very high. Maybe better you sleep with us in the village. Is safer, because maybe big water coming again.”

 

Izoen liegt auf dem Boden und haekelt eine muslimische Gebetsmuetze Jamaica Style. „You know Stevany, me used being alone sometimes. You know big flood in 2003. We see water rising, but we think normal. If water coming we always just go upstairs and think we ok, but this time too much waterrr coming la! And we couldn’t really see, because already dark, some people already asleep la. And then the river took everything, me in the water for 5 km think I will die. My mom and my sister die la!” 10 minutes laterr: Izoen unterbricht seine Haekelkunst. „Patri calling! Lets go tubing all the way down the river to Bahorok! Angga and Ibo also coming!!!” Angga (mit dem ich mir einen Reifen teile):“Hold the balance Stev, hold the balance! You are captain!!!“ WHY? „Because me dont know the way!“ Na bravo. Izoen kippt aus seinem Reifen und kreischt vor Vergnuegen wie ein ueberdrehter Affe. „The water keeps you young la!“ Der Fluss vernichtet. Und reinigt die Seele.

 

Es schuettet und donnert als stuende der Weltuntergang bevor. Grelle Blitze durchzucken die schwarzen Wolkenmassen. Die bei Regenschauern allwiederkehrende Nevositaet macht sich unter den Bukit Lawangern breit. Ich sitze bei Sarah auf dem Huegel neben der Moschee, wo wir unsere allabendliche Koranarabischlesson abhalten. Man versteht sein eigenes Wort nicht. „How lucky we are, that your house is up here, so we wont get flooded away when the flood comes again.“ groehle ich. “Yes, that’s right. But we are here the highest point of the village. So if the lighting strikes it will hit us.” Uff...Krawumm! Der Donner knallt. That happened before? „not here, but the house next door yes.“ KRAWUMM! Manchmal, so scheint es mir, ist das Leben am Fluss sicherer, als das Leben auf dem Huegel.

 

 

Babe feilt an einem Orang Utan Kopf aus Teakholz. „I lost my wife and my baby in the flood. When the water coming I hold my baby but was not strong enough. I lost her half the way down to Bahorok. I was in the water until Bahorok. 10 km. I am lucky man, because I still have my son. He is very handsome. Sama like me, when I was twenty years old. When I was twenty I met my wife, she was a very rich girl from Medan, and me just poor man from Bukit Lawang. Her parents did not accept me, so it was very difficult for us, but she loved me, so we tried hard. Me work very hard to save some money and make little business with guesthouse. I built little house next to the river to show her parents I do my best. But when almost finished, big water coming and everything gone. After that have nothing.” Er haelt mir ein Stueck bearbeitetes Holz unter die Nase. „What you think it is?“ Hmm...Vogel munkin? „No! Haha! Elephant, look, here the ear and here the nose. Now I teach the boys the art of carving. Life is simple you know. We make some wood, we play some guitar, we sit together, we sing, smoking, drinking coffee. No worry. For me money now not so important. Everyday I get up and just try my best. Easy you know.” Das Holz fuer seine Schnitzkunst sammelt Babe aus dem Fluss. Der Fluss nimmt und gibt.

 

Nachts. Der Regen prasselt auf unser Dach. Das Wasser steigt stetig. Stetig. Das Rauchen des Flusses wird lauter. Lauter. Sungai Bahorok mutiert zu einem reissenden menschenfressenden Strom. Der Fluss schaeumt vor Wut. Gurgelnd und tosend peitschen die Wassermassen unter unseren Zimmern vorbei. Es regnet und regnet. Das Wasser steigt. Und steigt. Der erste Holzpfosten des Hauses gibt sich geschlagen und macht sich gemeinsam mit den Wassermassen auf den Weg nach Bahorok. Ich muss irgendwie weiter nach oben gelangen. Weg vom Flussufer. Doch zwischen mir und dem lebenrettenden Huegel hat sich eine meterhohe Schlammmauer aufgetuermt, die mir den Weg versperrt. Ich stehe huefttief im Wasser. Blicke empor. Die Schlammmauer geraet ins Rutschen und begraebt mich bei lebendigem Leibe. Das wars. Ich bin hinueber, ersticke und sterbe. Ich wache auf. Nur ein Traum. Der Regen prasselt auf unser Dach. Ich gehe nach draussen und checke mal vorsichtshalber den Wasserstand. Der Fluss ist laut, aber bislang nicht weiter besorgniserregend.. Minuten spaeter wiegt mich sein Rauschen zurueck in den Schlaf. So bedrohlich der Fluss. Und so beruhigend.