Stell Dir ein verwunschenes Tal vor, umschlossen von gewaltigen Felswaenden, von deren stolzen Klippen sich die Wasserfaelle 350 Meter tief hinab ins Tal stuerzen. Und willst Du es finden, so folgst Du geheimen Pfaden, die leiten Dich durch die endlosen Tiefen des Dschungels, dessen Geaest so dicht so ist, so undurchdringbar, dass mancherorts noch nie ein Sonnenstrahl den Erdboden beruehrt hat. Und je weiter Du vordringst, in das dunkle Unbekannte, desto lauter kannst Du es schlagen hoeren, das gruene Herz des Dschungels, so geheimnisvoll und so schoen, so vollkommen, dass es Dich, wenn Du nur einmal seinem Schlag lauschen durftest, fuer immer in Deinen Traeumen begleiten wird, Du es niemals vergessen wirst. Kristallklare Fluesse musst Du durchqueren, und immer wenn Du denkst, dass es nicht mehr weiter geht, ebnet Dir ein alter Baumstamm geduldig den Weg ueber die Stromschnellen, und wenn Du einen falschen Schritt tust, reichen Dir die Lianen ihre Haende, so dass Du nicht das Gleichgewicht verlierst. Verzauberte Wasserfaelle musst Du passieren. Und im Dunst der glitzernden Wasserperlen tanzen lieblich die Libellen, aber nein! Schau genau hin! Was Du da siehst, das sind doch keine Libellen. Was da durch die Luefte schwebt, so quirlig, so behaende, wird getragen von silbergoldfarbenen Fluegelchen. Die zarten Gesichtlein erstrahlen in Regenbogefarben. 1000e verwunschene Seelen des Dschungels gleiten dort auf ewig in kreisfoermigem Fluge. Und nun sei ganz still und hoer genau hin, denn dann kannst Du sie glucksen und lachen hoehren. Und aus dem Dickicht dringen die markerschuetternden Rufe der Black Gibbons, den weisen Ahnen des Urwalds, die – stark, wild, anmutig – ihr magisches Koenigreich durchstreifen. Und Du hoerst die Schreie des Hornbills, des grossen Paradiesvogels. Und wenn Du ganz tief vordringst, in die ewige Dunkelheit, und nur wenn Du weisst, wie man die Sprache des Dschungels spricht, dann triffst Du den Orang Pendek. Kindsgross in etwa, aber doch kein Kind, manchmal allein und manchmal in Gruppen, Du denkst, es ist ein Affe, doch schau zweimal hin, es ist kein Affe, lebendig und doch nicht aus Fleisch und Blut, sichtbar und doch unsichtbar, der stolze Geist des Waldes. Nimm Dir Zeit, nimm Platz, denn all diese zauberhaften Wesen erzaehlen Dir die Geschichten des Dschungels.
Und wenn Du dann, nach Tagen und Naechten im Dschungel, von denen Du nicht mehr zaehlen kannst, wieviele es denn waren, den Eingang zum Tal gefunden hast, und Dein Blick von der obersten Bergkuppe hinab ins Tal gleitet, offenbart sich Dir ein Maerchenland, in dem es keine Kalender, keine Uhren, keine Zeitrechnung gibt. Ein Tal, das ertrahlt im fruchtbaren Licht sattgruener Reisfelder. Ein Tal, in dem es an nichts mangelt. Und wenn Du Dir dort Deinen Weg bahnst, neigen sich die leuchtend gelben Bananenstauden zu Dir herab, laden Dich ein, Du moegest doch kosten. Ein Ort, wo die suesse Kaffeebohne rosarot im Sonnenlicht erstrahlt, wo Kokosnuesse wachsen, der Jumbabaum seine suesse Frucht Dir zu Fuessen fallen laesst, Ananas, Maracuja, Kakao, Stern- und Schlangenfrucht gedeihen dort. Mango, Papaya- und Avocadobaeume formen sich zu Alleen, in diesem verwunschenen Tal, in dem Mensch, Tier, Pflanze und Geist in Harmonie und Einklang miteinander leben. Ein Tal, in dem Kinder friedlich auf dem Ruecken tagtraeumender Wasserbueffel schlummern, in dem Mann und Python sich wie beste Freunde in den Armen liegen. Und hier im Tal wachsen und gedeihen haarige flauschige kleine Knollen, nicht ganz Tier und nicht ganz Pflanze, und - wenn Du genau hinhorchst - kannst Du den redseligen kleinen Dingern lauschen, wie sie sich gegenseitig zuquasseln mit den merwuerdigsten und skurillsten Banalitaeten, die der Knollenalltag zu bieten hat. Waehrend sie vor sich hinbrabbeln biegen sie sich langsam, und fuer das Menschenauge kaum sichtbar, von links nach rechts. Und bei ganz grossem Glueck bekommst Du die Geschichten des Barontung zu hoeren, der aeltesten und weisesten aller Knollen. Seine Erzaehlungen stammen aus dem Goldland laengst vergangener Zeiten, reichen zurueck zu dem Beginn der Menschheit, als die Bueffel der Minangkabau den Tiger der nach Blut lechzenden Eindringlinge aus Java im Zweikampf besiegte. Sie handeln von verirrten Toten, die auf der gefaehrlichen Reise nach Puya, weit hinter dem suedlichen Horizont gelegen, am Fusse des Bambapuang dem falschen Pfad folgten und dazu verdammt sind, auf immerdar als verlorene Seelen in der von dichten Dunstwolken umschlossenen Zwischenwelt von Diesseits und Jenseits umher zu wandeln. Vom Feuer speienden Krakatau, von der Verdunkelung der Erde, von riesigen Flutwellen, die die Kuppen der hoechsten Berge umspuelen, sie zerbersten liessen, als bestuenden diese aus hauchzartem Glase.
Und dann gibt es Blumen in dem Tal, ueber einen Meter im Durchmesser und 10 kg schwer, die bluehen nur ein einziges Mal, und wenn Du sie denn dann zu Gesicht bekommst, offenbart sich Dir eine majestaetische Schoenheit, wie Du sie nicht aus Deinen lieblichsten Traeumen kennst. Schmetterlinge begleiten Dich auf Deinem Weg durch immergruene Wiesen, mit einer Fluegelspannbreite von 98 Zentimetern, und dann fliegen da auch ganz klitzekleine, vielleicht 1 cm gross, und alle erstrahlen sie in einer Farbenpracht, wie sie das menschliche Auge in all ihren Nuancen nicht zu erfassen vermag. Bauern mit kreiselfoermigen Bambushueten angeln in den zierlichen Wasserlaeufen der Reisfelder. Und gen Abend kannst Du beobachten, wie die mueden Pflanzen ihre Blaetter verschliessen, und wie die Frauen von den Reisfeldern zurueck in die Huetten kehren und ueber dem Feuer Gerichte aus frischem Maniok, Tempe und scharf wuerzigem Curry zubereiten. Wie die Bauern, die die gleiche Sprache sprechen, wie die Tiere, ihre Rinder, Ziegen und Gaense rufen, und sich gemeinsam mit ihnen auf den Heimweg machen, in ihre einfachen Holzverschlaege, die im Tal verstreut sind, wie kleine hoelzerne Baukloetze auf einem Spielbrett. Und Nachts ertoent der Gesang der Zykaden und das Quaken der Froesche und das Schnalzen der Geckos, und im Einklang mit der vollkommenen Welt, die Dich umgibt, entgleitest Du sanft ins Reich der Traeume. Ueber Dir funkeln die Sterne.
Aber dann kommen Eindringlinge in das Tal. Ein falscher Freund hat ihnen fuer den Preis seiner Seele den Weg verraten. Die machen Jagd auf die Schmetterlinge, und spiessen sie auf in Gift getraenkte Nadeln, und die Schmetterlinge biegen und winden sich vor Schmerz, in dem Moment, in dem die totbringenden Speerspitzen ihre zarten kleinen Leiber durchbohren. Doch die Fremden merken das nicht. Getrieben von Raffgier sind ihre Herzen ohne Empfindungen, und sie haben ihr Gespuer verloren fuer die sensiblen Seelen zierlicher kleinen Wesen. Halb tot halb lebendig baut man ihnen einen glaesernen Sarg, und traegt sie in eine fremde boese Welt, da ist es so dunkel, dass man nicht sehen kann, weil dichte Abgaswolken den Himmel schwarz verfaerben, da kann man keine Voegel singen hoeren, und man hoert nicht die Blumen bluehen und man hoert nicht die Froesche und die Zykaden, weil das Bruellen der Motoren gnadenlos die feinen Laute verschlingt.
Und dann reissen sie die wehrlosen Knollen aus der fruchtbaren Erde und stopfen sie in enge kalte Plastikgefaesse, in denen sie nicht atmen koennen, und die kleinen Leiber weinen und schreien, doch man hoert sie nicht, denn durch das Gebruell der grossen Stadt, des seelenfressenden Raubtiers, sind die Ohren der Eindringlinge taub fuer die sanften Klaenge der Natur. Und dann hacken sie auf den Barontung ein und zerschneiden ihn in Stuecke, und sie merken gar nicht, was sie da tun, und keiner kann mehr seinen Geschichten lauschen.
Und sie fangen die Paradiesvoegel und sperren sie in kleine Kaefige, und die Gesaenge der Voegel verstummen in der Gefangenschaft, und die Federn verlieren ihre Farbe, seht doch, sie strahlen nicht mehr, sie glaenzen nicht mehr, doch die Fremden sehen es nicht, denn durch den Smog sind ihre Augen blind fuer die Schoenheit des zarten Lebens. Die engen Gefaengnisse transportiert man auch in diese fremde verbitterte Welt, und dort haengt man sie an die Decken der von Neonlicht gefluteten Strassenimbisse und das Frittierfett verklebt ihre Federn, so dass sie nicht mehr fliegen koennen, doch es interessiert keinen.
Oh welch Unglueck, welch Desaster, die Harmonie geraet aus dem Gleichgewicht! Und die Blumen welken, und die Menschen sterben an Schlangenbissen, und die Kinder quaelen das Vieh und erfreuen sich an seinem Leid. Und die Menschen fuerchten die Geister, denn sie werden zornig.
Und nachdem die Fremden ueber das Tal hergefallen sind, und die Baechlein nicht mehr fliessen und die Fische nicht mehr atmen koennen und Plastikberge die Reisfelder begraben, fallen sie ein, dringen sie vor, die Eindringlinge, in die tiefe oh heilige Seele des Dschungels und der Laerm der Motorsaegen uebertoent die verzweifelten Rufe der Black Gibbons, doch es kuemmert sie nicht. Und sie dringen tiefer und tiefer, und sie verbrennen die Urwaldriesen, und die weisen Geister des Waldes ersticken in dem Qualm. So seht doch, wie sie rennen, die Bewohner des Urwalds, sie rennen und rennen, doch sie wissen nicht wohin. Und so hoert doch, die zauberhaften Seelen des Dschungels, sie lachen nicht mehr, sie glucksen nicht mehr, so hoert doch, sie flehen um Gnade, doch keiner schert sich um sie. Und das Wasser der Wasserfaelle verfaerbt sich blutrot. Und auch die Libellen koennen nicht mehr fliegen, und sie stuerzen ab und ertrinken in dem blutigen Strom.
Oh merkt Ihr nicht, welch Unglueck, oh seht ihr nicht, welch Leid, oh hoert ihr nicht die Schreie, die Schreie, in dem Moment, in dem das Vollkommene in Stuecke bricht, in dem Moment, in dem die Schoenheit stirbt, in dem das Herz des Dschungels aufhoert zu schlagen.
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lxbfYeaa (Samstag, 22 Juni 2024 08:22)
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lxbfYeaa (Samstag, 22 Juni 2024 09:25)
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lxbfYeaa (Samstag, 22 Juni 2024 09:39)
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