Auf den Strassen spielen Kinder in zu grossen, dreckigen Hemden. Kakaobohnen trocknen in der Mittagssonne. Zerrupfte Hunde doesen ruhig im Schatten von Schilf und einfachen Holzhuetten. Frauen waschen die Waesche im Fluss, ihre nackten Brueste wiegen in der Sonne. Am Hafen entladen kleine hoelzerne Boote die Bananenernte aus den Gemeinden am Fluss.
Ich durchquere das Dorf und folge dem alten Indianerpfad in den Dschungel. Im Geast kreischen die Guacamayos. Mich umgibt ein tiefes dunkles vollkommenes Gruen und das Summen der Heuschrecken. Ich bin allein. Im Indianergebiet. Vorangetrieben von einer unersaettlichen Neugier, beinahe eine Besessenheit, zu erfahren, was sich im Dickicht verbirgt. Ruhig und doch stets wachsam, denn der Dschungel schreibt seine eigenen Gesetze. Und tief im Busch treiben sich rauhe Gestalten rum. Vom Rio Ucayali aus organisieren die Ueberreste der Guerilla-Truppe „Leuchtender Pfad“ Ueberfaelle auf umliegende Gemeinden und kontrollieren gemeinsam mit den Narcos den Kokaschmuggel aus den Drogenanbaugebieten Perus ueber geheime Dschungelpfade ueber die Grenze hinweg zu den Laboratorien in Kolumbien. Weiter oestlich treiben Raubbauern mit ihren Motorsaegen ein gewissenloses Unwesen. Der eine misstraut dem anderen, und ungeplante Zusammentreffen verlaufen in der Regel toedlich. Was genau passiert, weiss man nicht, nur wenige Geschichten dringen aus dem Urwald nach aussen, what happens in the jungle, stays in the jungle. Ab und zu munkelt man etwas von Hexenverbrennungen in den Indianergemeinden, von Eindringlingen, die mit Giftpfeilen (Indianer) oder Macheten (Raubbauern) hingerichtet wurden, Ueberfaelle auf Handelsboote und von Guerillas begangene Massaker an den Nativos. Weisse allein im Dschungel haben die geringste Lebenserwartung. Die Asháninkas sehen in den weissen Eindringlingen Landraeuber oder Terroristen, fuer die Raubbauern sind es Spione, die von auslaendischen Regierungen gesandt wurden, um die illegalen Machenschaften aufzudecken, und die Narcos metzeln ohnehin alles nieder, was ihren unglueckseligen Weg kreuzt. Die Gesetze des Dschungels sind rauh, wie seine Bewohner. Man muss wissen, worauf man sich einlaesst. Und waehrend mir das alles so waehrend meines einsamen Streifzugs durch den Kopf geht, dringen aus dem Gebuesch unbekannte Vogelstimmen, und auf einmal bin ich mir da gar nicht so sicher, ob es die Voegel sind, die da rufen, oder ob es die Indianer sind. Und auf einmal ist mir dann doch etwas mulmig zu Mute und ich fuerchte mich doch etwas vor den Giftpfeilen. Eine heruntergekommene Gestalt im zerissenen Hemd kommt mir entgegen. Seine Gummistiefel sind von einer roetlichen Schlammschicht ueberzogen. Rechterhands die Machete, Fluppe in den Mundwinkeln. Vergilbte Augen. Und ich glaube, es ist an der Zeit ins Dorf zurueckzukehren. Denn mit einem Schweizer Taschenmesser ist die Schlacht nicht zu gewinnen.
Zurueck im Dorf. Kleine nackte Kinder baden im Bach. Ein hoelzernes Floss ist an den Wurzeln der Urwaldriesen befestigt. Maedchen mit langen schwarzen Haaren bereiten in blechernen Toepfen das Mittagessen zu. Ich sitze auf einem Stein einige Meter unterhalb der Badestelle, ein dichtes Blaetterdach spendet wohltuenden Schatten. Eine blau-schwarze Libelle laesst sich neben mir nieder, gemeinsam beobachten wir das Schauspiel des Wassers, und waehrend wir uns fragen, ob es etwas Schoeneres gibt, als die Reflexion der Wasserbewegungen auf der Blattoberflaeche der Urwaldgewaechse, traegt uns das ruhige Rauschen des Baches fort in einen Zustand meditativer Schwerelosigkeit, und ich vergesse die Zeit. Der Wald spricht mit mir, und wie seine Stimme lauter wird, zeichne ich mit Wasser Punkt- und Strichsymbole auf den Stein neben mir, alte Indianerzeichen, deren Bedeutung einzig der Dschungel kennt. Und als die Sonne die Zeichnung verblassen laesst, erwachen wir behutsam aus unserem gruenfarbenden Trance, und die Libelle und ich verlassen den Stein.
In der Abendluft liegt der Geruch von verbranntem Holz, Bootslack und gegrilltem Fisch. Kleine Feuer brennen am Wegesrand. Ein Schwarm kreischender Papageien zieht ueber den Fluss. Die tuckernden Motorengeraeusche der Holzboote verhallen im Dschungel. Ruhig und gemaechlich fliesst der Strom.
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